Das Geschäft mit der Wahrheit in der Wissenschaft

SZ Magazin Nr. 29 vom 20. Juli 2018
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Wie sehr die Wissenschaft selbst inzwischen mit dem Thema Fake-News zu kämpfen hat, hat der Rechercheverbund von SZ, WDR und NDR in der vergangenen Woche öffentlich gemacht. Was unter dem Stichwort „Open Access“ nach demokratischen Möglichkeiten klingt, um Forschungsergebnisse einfach und schnell zu veröffentlichen, ist inzwischen kräftig von sog. Raubverlagen unterwandert. Welch bizarre „Forschungsergebnisse“ auf diesen Wegen veröffentlicht werden (können), ist im Magazin der Süddeutschen vom 20. Juli eindrucksvoll und anschaulich nachzulesen. Eine filmische Illustration des Wahrheit und Fiktion vermischenden Geschäftsmodells findet sich hier. Mehr als 5000 deutschsprachige Wissenschaftler*innen haben mindestens einmal auf einer dieser dubiosen Plattformen veröffentlicht.


Am 20. Juli also erschien der Artikel „Das Scheingeschäft“ im SZ-Magazin. An diesem Freitag, dem 27. Juli, lese ich nun, dass die bayerische Ministerin für Kunst und Wissenschaft, Prof. Marion Kiechle, nicht nur mögliche Interessenkonflikte rund um einen von ihr mit erforschten und vertriebenen Biomarker zur Einschätzung von Therapieverfahren bei der Behandlung von Brustkrebs verschwiegen hat. Noch dazu war sie bei einer pseudowissenschaftlichen Konferenz eines solchen Raubverlages als Rednerin angekündigt, um ihre Forschungen um den von ihr mitvertriebenen Biomarker zu präsentieren (SZ 171  v. 27.7.18, R15).


Ganz abgesehen davon, dass Marion Kiechle die Offenlegung ihrer Firmenbeteiligung gut angestanden hätte: Ihr Beispiel zeigt, dass Forscher*innen sich nicht darauf beschränken können, nur auf ihre Forschungen(bzw. deren geschäftlichen Erfolg) zu schauen. Verantwortung der Wissenschaft heißt, sich auch um die Seriosität und Integrität der eigenen Forschungen - und des Systems, in dem sie publiziert werden - zu kümmern. Das digitale Zeitalter braucht wissenschaftliches Ethos nötiger denn je. Ob es nur ein Zufall ist, dass im von der bayerischen Staatsregierung unter maßgeblicher Beteiligung der Wissenschaftsministerin angekündigten „Bavarian Research Institute für Digital Transformation“ (BIT) zwar technische, ökonomische und rechtliche Aspekte als Schwerpunkte der Forschung benannt sind, die Ethik jedoch nicht?


Ach ja: auch als Geisteswissenschaftler ist man nicht gefeit vor Einladungen, bei fragwürdigen Verlagen oder Plattformen zu publizieren …