Anstand und Streit im Netz

Kurshinweise open vhb
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Im Zeitalter von Facebook und Twitter kann jede und jeder mitspielen auf der medialen Bühne. Faszinierende Möglichkeiten der Kommunikation im globalen Rahmen gehen Hand in Hand mit erschreckenden Hasstiraden und demokratiegefährdenden Effekten. Mehr und mehr stellt sich dabei die Frage, welcher Wahrheit wir im Gewirr der Meinungen Glauben schenken sollen. Was im postfaktischen Zeitalter auf der Strecke zu bleiben droht, ist das gemeinsame Verständnis, auf welche Fakten  es ankommt.
Das Fatale an den sogenannten Fake News ist dabei nicht allein die Verdrehung der Wahrheit, sondern der Verzicht auf jeden Anspruch an Wahrhaftigkeit: Auf was kann man sich noch verlassen in einer Welt, in der Verträge auf einmal nichts mehr gelten, weil Politiker sie mit einem Strich zur Seite wischen? Einer Welt, in der man nicht mehr weiß, ob das, was in Tweets und Posts in sogenannten sozialen Medien zu lesen ist, den Tatsachen entspricht oder nicht?
Bullshit hat der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt das genannt und schlimmer als das offensichtliche Lügen bezeichnet: wenn man sich auf nichts mehr verlassen kann, weil einem das Gesprochene oder Geschriebene als Humbug erscheint: einfach so dahin gesagt, ohne Verlässlichkeit und gleichgültig gegenüber dem, was am Ende des Tages dabei herauskommt - oder auch strategisch eingesetzt um Hass und Zwietracht zu säen.

So problematisch allerdings Populismus und Polarisierung sind: Was in einer Welt von Echokammern und sich wechselseitig in ihrer Abneigungen bestätigenden Blasen auf der Strecke zu bleiben droht, sind just lebhafter Streit und lebendige Auseinandersetzung. Der Streit der Meinungen und die Auseinandersetzung in der Sache gehören zur Suche nach der Wahrheit notwendig dazu. Und doch fehlen sie heute allzu oft – obwohl lautstark geschimpft und heftig protestiert wird.

Was unterscheidet dann aber die notwendige demokratische Streitkultur von den Kommunikations- und Protestformen, die wir heute in den Social-Media-Räumen wie auf den Straßen unserer Städte antreffen? Aus meiner Sicht sind es drei wesentliche Charakteristika, die den notwendigen Streit von unfruchtbarem Gezänk oder zerstörerischem Hass unterscheiden:

a) Das Aushalten unterschiedlicher Positionen
Das was ich selbst für wahr und richtig halte, ist relativ in einem Spektrum von unterschiedlichen Meinungen. Meinungspluralität ist überhaupt erst die Basis dafür, dass ich eine eigene Meinung habe und sie äußern kann.
b) Die Unterscheidung von Position und Person
Der Streit gilt der besseren Position, nicht dem Angriff auf die andere Person. Bei aller Kritik an anderen Positionen bildet der wechselseitige Respekt die Voraussetzung für den Streit. Wenn ich will dass der oder die Andere mein Argument übernimmt, muss ich ihm bzw. ihr auch die Voraussetzung dafür lassen: die eigene Integrität.
c)  Bewusstsein für das Nicht-Wissen und  Vertrauen auf bewährtes Wissen gehören zusammen.
Bewährte wissenschaftliche Einsichten und historische Fakten müssen als gemeinsame Bezugspunkte des Streits genauso ernstgenommen werden wie die Offenheit für das Noch-Nicht-Wissen. Gerade die Adventszeit symbolisiert diese Offenheit für Neues und macht neugierig auf dasjenige, was ich bisher noch nicht gesehen habe.

Warum und wie Anstand und Streit im Netz zusammengehören, zeigt in medienethischer Hinsicht ein neuer Kurs der open vhb. Im Rahmen des Kompetenznetzes "Medien-Ethik-Bildung" habe ich an dem Kurs mitgewirkt. Einschreiben in den Online-Kurs können Sie sich ab dem 15. Dezember,  den Zugang finden Sie hier.

Unter dem Titel „Streitkulturen – Medienethische Perspektiven auf gesellschaftliche Diskurse“ befasst sich die Tagung des Netzwerks Medienethik und der Fachgruppe "Kommunikations- und Medienethik" der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft im Februar 2021 mit den Herausforderungen, die mit der Digitalisierung der Kommunikation für die Demokratie einhergehen. Informationen zur Tagung hier.