Von Bausteinen für die europäische Demokratie in digitalen Zeiten schrieb ich neulich im Blick auf die Corona-App. Die Corona-Krise zeigt ja überhaupt, welche Bedeutung die Digitalisierung hat. Sie ermöglicht es, physisch auf Abstand zu bleiben, aber virtuell in Kontakt – sei es für den digitalen Unterricht, im Arbeitsleben oder privat.
Es sind Zeiten wie diese, in denen wir (neben dem Bedürfnis nach physischer Nähe) zugleich auch spüren, wie wichtig digitale Souveränität ist – und wie abhängig Europa im digitalen Raum ist.
In der vergangenen Woche hat die Anhörung der GAFA-Vier, d.h. der Unternehmenschefs von Google, Amazon, Facebook und Apple, vor einem Ausschuss des US-Kongresses erst wieder die beherrschende Marktmacht führender Digitalplattformen ins Licht gerückt.
Aus europäischer Sicht hat zwei Wochen zuvor der Europäische Gerichtshof für einen Paukenschlag gesorgt, als er das „Privacy Shield“-Abkommen zwischen der EU und den USA für unwirksam erklärte und damit dem Datentransfer über den Atlantik die rechtliche Grundlage entzog. Manche Expert*innen fordern, bis auf Weiteres keine geschützten Informationen mehr in die USA zu übertragen. In jedem Fall sind Unsicherheit und Unbehagen groß, wenn es darum geht, Daten Konzernen aus den USA oder Unternehmen aus China anzuvertrauen (vgl. dazu nur die Diskussion um die Social-Media-Plattform TikTok).
Umso wichtiger, erscheint es deshalb für Europa, rechtssichere Alternativen für eine leistungsfähige Dateninfrastruktur voranzutreiben, die nicht auf ein Placet aus Washington oder das staatliche Dateninteresse aus Peking angewiesen sind. Dass Europa und die europäischen Bürger*innen mehr gestaltenden Einfluss auf den digitalen öffentlichen Raum benötigen, wird immer wieder betont. Denn die Infrastruktur des digitalen Datenverkehrs ist zentral für gesellschaftliches Leben und politische Willensbildung, für individuelle Freiheit und Privatsphäre sowie die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit.
Aus diesen Gründen hat Acatec, die deutsche Akademie der Technikwissenschaften, praktisch zeitgleich mit dem EUGH-Urteil einen wichtigen Beitrag für die aktuelle Digitaldebatte vorgelegt. Eine Projektgruppe um Noch-BR-Intendant Ulrich Wilhelm und Ex-Acatech-Präsident Henning Kagermann stellt auf ca. 30 Seiten ein Plädoyer für eine europäische Dateninfrastruktur zur Diskussion. "Es ist höchste Zeit, auf Ebene der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union mit gemeinsamem politischen Willen den digitalen öffentlichen Raum als Grundlage für demokratische Diskurse, gesellschaftliche Meinungsbildung und Achtung europäischer Werte aktiv zu gestalten und ein europäisches digitales Ökosystem als offene Alternative zu entwickeln und zu etablieren: die European Public Sphere (EPS)."
Auch wer die vielen Verbindungen des Papiers zu einem hiesigen Medienhaus, dem Bayerischen Rundfunk, kritisch betrachten mag: die in dem Papier formulierten Impulse für eine größere Unabhängigkeit Europas sind nicht nur der Diskussion, sonder auch der politischen Umsetzung wert!