Digitalisierung erhöht die Effizienz und schafft neue Anwendungen in Produktion, Verkehr, Verwaltung, Gesundheit, Bildung und Kommunikation. Aber wirkt sich die Digitale Transformation auch automatisch positiv auf die Nachhaltigkeit aus? Zu dieser Frage veranstalteten wir in Kooperation mit Acatech, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Evangelischen Stadtakademie München am 18. Mai eine Podiumsdiskussion. Hier der Tagungsbericht von Claudia Strauß von acatech:
"Wie kann die Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit beitragen? Diese Frage stand im Zentrum des Impulses von Ralph Hintemann, Gesellschafter und Senior Researcher am Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit. Laut einer Studie von Accenture könne die Digitalisierung fast zur Hälfte zu den deutschen Klimazielen beitragen. Derzeit würden die Potenziale aber nicht ausgeschöpft. Dies zeige sich am Beispiel des Verkehrs, bei dem durch effizientere Logistik viel eingespart werden könnte. Trotzdem sei die Fahrleistung der LKWs in Deutschland in den letzten Jahren angestiegen. Gleichzeitig lassen sich aber auch Möglichkeiten erkennen, wie am Beispiel der Videokonferenzen. Auch nach Corona können vermutlich ungefähr 15 Prozent der Dienstreisen durch digitale Alternativen eingespart werden. Die Digitalisierung sei insgesamt eine Chance für mehr Nachhaltigkeiten, dazu brauche es aber Richtungssetzung und klare Leitlinien.
Ohne die Digitalisierung sei keine nachhaltige Infrastruktur möglich, konstatierte Michael Weinhold, Leiter Technology & Innovation bei Smart Infrastructure bei der Siemens AG. Durch die zunehmende Elektrifizierung stehe der Stromsektor im Mittelpunkt einer Dekarbonisierung. Durch weltweit zunehmende Wind- und Photovoltaikanalgen werde mehr Flexibilität im System notwendig. Diese könne durch Automatisierung erreicht werden, beispielsweise durch Sensorik, Internet of Things oder Digitale Zwillinge. Eine Vision für die Zukunft seien sogenannte virtuelle Kraftwerke, kleinere und dezentrale Einheiten, die flexibel agieren. Auch Automatisierungstechnologien für Gebäude, die die Energieeffizienz steigern, werden eine große Rollen spielen. Der Ingenieur betonte besonders: Nachhaltige Elektrifizierung aus Erneuerbaren Energien brauche Sektor-übergreifende Flexibilität; dafür seien Sensorik, Konnektivität und Datenanalyse Voraussetzungen. Insgesamt werde die Digitalisierung dadurch zur Schlüsseltechnologie für Effizienz und Dekarbonisierung.
Es braucht eine systemische Perspektive auf die Digitalisierung, mit der digitale Anwendungen, soziales Handeln, institutionelle Rahmenbedingungen sowie ökonomische Anreizstrukturen in den Blick genommen werden. Das betonte Pia-Johanna Schweizer, Forschungsgruppenleiterin vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam (IASS). Die Digitalisierung sei ein offener Prozess, der nach der Zielvorstellung der Nachhaltigkeit gestaltet werden könne. Zu der ökologischen Komponente der Nachhaltigkeit gehöre – bezogen auf die Digitalisierung – Dekarbonisierung, Dematerialisierung und Renaturalisierung. Digitale Dienstleistungen hätten das Potenzial, den Verbrauch von Energie und Material zu reduzieren, gleichzeitig steige aber bisher dieser Verbrauch mit zunehmender Digitalisierung an. Die ökonomische Komponente beinhalte die Orientierung zu einer Kreislaufwirtschaft, Beschäftigung, sowie ein kompetitives Wirtschaftssystem: Einerseits ermögliche die Digitalisierung eine dynamische Logistik im Zuge einer umfassenden Kreislaufwirtschaft. Andererseits würde mehr Elektroschott produziert, Arbeitsplätze in konventionellen Wirtschaftsbereichen abgebaut und Macht und Information auf wenige Konzerne konzentriert. In der sozialen Komponente von Nachhaltigkeit gehe es um eine Gemeinwohlorientierung, die intra- und intergenerationale Gerechtigkeit umfasse, Souveränität und Teilhabe sowie soziale und kulturelle Identität. Die Digitalisierung biete damit Chancen zu mehr Teilhabe und einfacheren Zugang zu vielen digitalen Angeboten, gleichzeitig steige aber auch soziale Ungleichheit und es bestehe die Gefahr von Datenmissbrauch.
Die Digitalisierung dürfe nicht als Allheilmittel für die Dekarbonisierung missverstanden werden, erklärte Tilman Santarius, Professor für Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin. Studien zeigten sehr unterschiedliche Einsparpotenziale der digitalen Technologien und erarbeiten meistens nur Best Case Szenarien. Die größte Chance sieht der Sozialwissenschaftler in der Flexibilisierung der Nachfrage durch Digitalisierung beim Übergang zu einhundert Prozent erneuerbaren Energien. Auch bei der Dezentralisierung der Energieproduktion in Bürgerhand, zum Beispiel durch Energiegenossenschaften, können Mikro- oder Mini-Netze einen Beitrag leisten. Die Risiken der Digitalisierung lägen hauptsächlich in erhöhtem Verbrauch. Dieser ergebe sich aus immer energieintensiveren und immer mehr Geräten und neuen Dienstleistungen. Hier seien Rebound-Effekte, bei denen Effizienzgewinne durch Mehrverbrauch aufgewogen oder sogar übertroffen werden, und Induktions-Effekte, bei denen ganz neue Anwendungen mit zusätzlichen Verbräuchen, die erst durch die Innovation selber hinzukommen, maßgeblich. Daher brauche es neben Effizienz- und Konsistenzstrategien explizit auch Strategien für digitale Suffizienz und digitale Nachhaltigkeitstransformationen.
Auch in der anschließenden Diskussion wurde deutlich, wie wichtig die Betrachtung einzelner digitaler Technologien nicht nur hinsichtlich ihres unmittelbaren ökonomischen oder praktischen Nutzen ist, sondern wie auch deren sozialen und ökologischen Auswirkungen und deren Nutzen und Wünschbarkeit für das Gemeinwohl bedacht werden müssen. Auch wenn also unser Verbrauch an natürlichen Ressourcen und Energie durch die Digitalisierung nicht automatisch abnehmen wird, so gilt es die Chancen zu identifizieren und zu nutzen, die diese für eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit bietet."
Quelle: https://www.acatech.de